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Wie man durch einen strukturierten Prozess zum Ziel kommt
„Der General, der eine Schlacht gewinnt, stellt vor dem Kampf im Geiste viele Berechnungen an. Der General, der verliert, stellt vorher kaum Berechnungen an. So führen viele Berechnungen zum Sieg und wenig Berechnungen zur Niederlage – überhaupt keine erst recht! Indem ich diesem Punkt Aufmerksamkeit widme, kann ich voraussagen, wer siegen oder unterliegen wird.“ – Sunzi 544-496 v.Chr.
Zugegeben der Einleitungssatz ist sehr plakativ und dennoch zutreffend – auch wenn der Führungsprozess der Landstreitkräfte nicht wie eine Rechenaufgabe gelöst kann. – Am Beispiel der
Verteidigung des Thüringer Beckens übten die Reservisten unter Anleitung der Taktiklehrer OTL a.D. Manfred Bettendorf und OTL a.D. Jürgen Baumer den Führungsprozess der Landstreitkräfte.
Die Aufgaben, die die Lehrgangsteilnehmer zu bewältigen hatten, waren nicht unerheblich und im Vorfeld wurde viel Lernstoff zu Verfügung gestellt, den die Lehrgangsteilnehmer im Eigenstudium vorzubereiten hatten.
Die Problemstellung lautete: „Planen Sie eine Verteidigung für einen Raum gegen einen Gegner, der nummerisch in der Überzahl ist und halten Sie die Stellung, um dem übergeordneten Befehlshaber die Möglichkeit zum Gegenangriff zu bieten. Eingebettet in die Rahmenlage einer völkerrechtswidrigen Invasion mit großen Truppenkontingenten auf der Gegenseite und der Verteidigung eines NATO-Mitgliedes durch eine multinationale Koalition des Bündnisses auf der anderen, ermittelten die Teilnehmer in Gruppenarbeit zunächst auf Basis des Brigadebefehls den eigenen Auftrag und die wesentliche Leistung für den Auftrag – Auswerten des Auftrages (kurz AdA)
„PzGrenBtl 514 verstärkt vermindert verteidigt entlang der FEBA Staußfurt – Sömerda die Stellung 3.1, um so die Voraussetzung für die Zerschlagung der Folgekräfte durch den Gegenangriff Hammer der 5. Panzerdivision zu schaffen.“
In einem Lagevortrag zur Einleitung der Lagebeurteilung (LVEinl) ergaben sich erste Hinweise und Prüffragen, z.B.
„Wie kann mit dem Fluss Unstrut mit hohem Einsatzwert an der FEBA verteidigt werden?“
die in der anschließenden Beurteilung der Lage sukzessive abgearbeitet wurden. Stichwort Prüffragen. Hierzu wurden Informationen aus dem grafischen Operationsplan, genauso wie aus dem Brigadebefehl herangezogen, um das Lagebild allmählich zu verdichten.
In die Beurteilung gingen die Einflussfaktoren wie Umweltbedingungen (bspw. Winter, mit schlechter Sicht und Nebel/Schneefall bei Nacht), Informationsumfeld (Desinformation durch Feind), Bedrohungen, die Zivile Lage wie Flüchtlinge / Zurückgebliebene, NGO/GO uvm., die Feindlage – Gesamtüberblick, Kräftegruppierungen, Möglichkeiten und vermutete Absicht ein.
„Ein mechanisiertes Regiment mit zwei verstärkten mechanisierten Bataillonen nebeneinander, Schwerpunkt links und einem verstärkten mechanisiertem Bataillon im Schwerpunkt folgend, beidseits der Achse Alperstedt Herrnschwende nimmt den Raum Greußen als Zwischenziel des Regiments, greift danach…, um so die Voraussetzung für die Einführung Folgekräfte zu schaffen“
Vervollständigt wurde die Lagebeurteilung durch die Beurteilung der eigenen Kräfte mit Leistungsvermögen und Einsatzwert, die teils in Gruppenarbeit erarbeitet wurden und teils in Vorträgen die Themengebiete abgehandelt wurden.
Insbesondere bei der Feindbeurteilung und die Beurteilung der eigenen Truppen wurde die meisterliche Kunst der Taktiklehrer deutlich, die aus rechnerischen Größen und „Softskills“ ein belastbares Ergebnis für Feststellung der Lage erzeugten.

Anschließend wurden die die Möglichkeiten des eigenen Handelns in Entschlussform festgestellt. Die Taktiklehrer legten ein besonderes Gewicht auf die Form und den Gebrauch der richtigen Vokabeln und korrigierten die Teilnehmer, um sie auf den geforderten Stand zu bringen. Ziel war es, die beste Aufstellung für die Erreichung des Auftrages für Rot (Worst-Case-Szenario für Blau) als auch für Blau (Worst-Case-Szenario für Rot) zu finden.
Im folgenden Unterricht Kräfte und Fähigkeitsvergleich, also Gesamtkräfteverhältnis, Kräfte-/ fähigkeit und Einsatzwertvergleich wurde nun gefechtsphasenweise / abschnittsweise das beabsichtigte Gefecht im Hinblick auf die Feind-Freund-Kräfteverhältnis beurteilt. Wie viele Schützenpanzer hat Rot im Vergleich zu Blau, wie viele hat Kampffahrzeuge hat Blau insgesamt in Bezug auf den Feind. Wie viele Kampfpanzer haben die ersten zwei angreifende Bataillone Rot im Vergleich zu Bataillon Blau, wie ist das Kräfteverhältnis Rot versus Blau. Stimmen die Verhältniszahlen insgesamt und Phasenweisen, wie sind die Fähigkeiten in einzelnen zu bewerten.
Diese und weitere Fragen des Kräfte- und Fähigkeitsvergleich wurden schrittweise abgearbeitet.
Am Schluss „wählten“ die Lehrgangsteilnehmer die beste Aufstellung für
die Erreichung des Auftrages aus und stellten diese wieder in Entschlussform dar.
In der Folge wurde jede Kompanie mit weiteren Kräften ausgestattet bzw. musste Teile abgeben, damit der Auftrag bestmöglich ausgeführt werden konnte – Stichwort Truppeneinteilung.
Am Ende des Lehrgangs stand der Entschluss und somit die Ziffer 3a des Befehl Nr.1 für die Verteidigung fest,
„PzGrenBtl 514 verstärkt vermindert verteidigt mit drei Kompanien nebeneinander und einer Panzerkompanie in Reserve entlang der FEBA Staußfurt – Sömerda die Stellung 3.1, um so die Voraussetzung für die Zerschlagung der Folgekräfte durch den Gegenangriff Hammer der fünften Panzerdivision zu schaffen. Das Gefecht wird in drei Phasen geführt:
- Phase I Aufnahme von Teilen Aufnahme der Teile der altroverdischen Division
- Phase II Verteidigung des zugewiesenen Verteidigungsraumes im Erfurter Becken
- Phase III halten der Stellung 3.1
- […]“
mit dem die Teilnehmer in der Geländebesprechung in den zweiten Teil des Aufbaulehrgangs Taktik starten werden. „To be continued…“

Fazit:
Es war wieder einmal ein sehr anspruchsvoller Lehrgang mit Teilnehmern aus allen Dienstgradgruppen vom Portepeeunteroffizier bis zum Stabsoffizier und allen TSK und Truppengattungen über Artillerie und Aufklärer über Panzertruppen bis hin zur Sanität.
Die Zeit verging wie im Flug, und das lag vor allem an den beiden Taktiklehrern OTL a.D. Bettendorf und OTL a.D. Baumer. Sie vermittelten spannend, stringent die Lehrgangsinhalte und forderten, aber überforderten die Lehrgangsteilnehmer nicht. Das Konzept aus „kleinen“ „Kampfgruppen“ für die Gruppenarbeit und Unterrichtung verdichtete den Stoff schnell und bleibt für folgenden Lehrgänge im Kopf.
Es darf nicht unerwähnt bleiben, dass die Organisation durch den VdRBw hier in Form von Frau Aschbauer wieder herausragend war. Chapeau!
Ebenso ist die Liegenschaft der Sanitätsakademie zu loben – ein Taktiklehrsaal auf die Bedürfnisse der Lehrgangsteilnehmer zugeschnitten und gepflegte Offiziersstuben mit Dusche und WC sind heute immer noch keine Selbstverständlichkeit.
Ich kann jedem Reservisten nur empfehlen, die Taktikschulungen des VdRBw mitzumachen, egal ob es sich um die Gruppenführerebene oder wie hier um die Bataillons- oder Brigadeebene handelt. TAKTIK MACHT nicht nur SPASS, sondern die hier vermittelten Inhalte können universell in allen – und nicht nur militärischen- Bereichen eingesetzt werden, wenn es darum geht, strukturiert durch eine Problemstellung zu einem Ziel zu kommen.
Oberstabsapotheker d.Res. Sascha Schneider